Das „Museum der Arbeit“ in Hamburg„Arbeed macht das Leben sieß“, pflegte meine ostpreußische Großmutter zu sagen, wenn mein Bruder oder ich uns vor dem Abwasch drücken wollten. Sie hatte da schon ein arbeitsreiches Leben als Landarbeiterin und Köchin hinter sich, das überhaupt nicht süß war. Das Hamburger Museum der Arbeit ist sicher nicht geeignet, den obigen Spruch, der wohl einerseits ironisch gemeint ist und andererseits sich an den 90. Psalm anlehnt („Unser Leben …, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen,“ … ) zu bestätigen. Konzept und IdeeKonzept und Idee der Museumsgründer und -veranstalter war und ist es, den Besuchern zu zeigen, wie sich die Arbeit in den letzten 150 Jahren gewandelt hat und wie sich dieser Wandel auf Menschen und Gesellschaft ausgewirkt hat. In Hamburg geschahen die großen Umbrüche vor allem durch den Niedergang der Schiffsbauindustrie und die Rationalisierung im Zeitungswesen (Ablösung des Bleisatzes durch Foto- und Lichtsatz). Diese Veränderungen hatten zur Folge, dass „In langen Lernprozessen erworbene Kenntnisse, Fertigkeiten und Fähigkeiten vieler Menschen nicht mehr gebraucht wurden und verloren zu gehen drohten“1. Das galt für Tätigkeiten in der Produktion, in der Hausarbeit, im Handel, im Dienstleistungsbereich und in der Verwaltung. Die InitiatorInnen des Museums der Arbeit wollten nun diese und andere „Zeugnisse einer verschwindenden Industriekultur dem kulturellen Gedächtnis bewahren“2 Sie dachten und bauten das Museum der Arbeit auf nicht als tote Aufbewahrungsstätte, sondern als lebendiges Bildungs- und Kulturzentrum, als Ort für Erinnerungs- und Reflexionsarbeit, als Ort praktischen Lernens sowie als Diskussionsforum auch für aktuelle Konflikte – so das Planungsgutachten von 1986 lt. Dr. Elisabeth von Dücker. 1980 wurde der Museumsverein gegründet. Die Mitglieder sammelten als unbezahlte „volunteers“ Objekte und Dokumente und erarbeiteten Konzepte. 1985 waren 150 Mitarbeiter in neun Arbeitskreisen beschäftigt. (u.a. Grafisches Gewerbe, Frauen, Hafenarbeit, Metall, Wohnen). 1990 wurde das Museum der Arbeit offiziell zum siebenten staatlichen Museum Hamburgs erklärt. Standort des Museums ist das ehemalige Fabrikgelände der New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie von 1871 in Hamburg-Barmbek. Wo ehemals Hartgummikämme aus Kautschuk angefertigt wurden, präsentieren sich heute in zwei Stockwerken Dauerausstellungen und Einzelobjekte über die frühere Metallwarenfabrik Carl Wild (Produktion von Anstecknadeln, Medaillen, Broschen und Abzeichen, z.B. von Plaketten des Winterhilfswerks der Nationalsozialisten), über die Mechanisierung und das Ende des Buchdrucks, über Arbeiten in Kontor und Handel, über die Arbeit von Frauen und Männern und eben über die New-York Hamburger Gummi-Waaren Compagnie. Es würde den Rahmen dieses Artikels sprengen, jede dieser Ausstellungseinheiten zu beschreiben. Ich will mich darauf beschränken, durch jeweils ein Foto einen kurzen Einblick in die drei zuerst genannten Arbeitsbereiche anzubieten.
Geschlechtsspezifische ArbeitAusführlicher gehe ich auf die Abteilung „Frauen und Männer – Arbeitswelten und Bilderwelten“ ein. Das Thema „geschlechtsspezifische Arbeit“ war den InitiatorInnen des Museums ein besonderes Anliegen und ist in allen Museumsabteilungen berücksichtigt worden. Trotzdem gibt es noch eine eigene Abteilung zur Frauen- und Geschlechtergeschichte. Sie erschien den OrganisatorInnen nötig zu sein, weil sie nicht nur Unterschiede in den Arbeitsverhältnissen von Mann und Frau zeigen , sondern auch nach ihren „Konstruktionsmustern“ fragen und Vorurteilen auf die Spur kommen wollten. Eines dieser Vorurteile lautete „Frauenarbeit = leichte Arbeit“. Am Beispiel der für Hamburg typischen Fischindustrie ist erkennbar, wie Arbeitsplätze nach dem Geschlecht eingeteilt wurden. Eine im Zentrum der Abteilung stehende Heringsfilettiermaschine (Frauenarbeit) und ein Räucherofen (Männerarbeit) geben darüber Aufschluss. In der Wirklichkeit nämlich verlangten Arbeitsplätze in der Fischindustrie auch den Frauen alles ab. Für 38 Pfennig in der Stunde (1924; Männer erhielten doppelt soviel) in Kälte und nass bis auf die Knochen arbeiten, dabei im Zug stehen, Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit je nach Fischanlieferung und Saisonarbeit leisten. Ein großer Teil der länger in der Fischindustrie arbeitenden Frauen zog sich rheumatische Leiden zu.
Arbeitsplatz KindZentrales Thema der Abteilung „Frauen-Männer“ sind „die geschlechtsspezifischen Unterschiede in der Erziehung, bei der Bewertung der Arbeit, bei der Entlohnung sowie bei der Zeiteinteilung“3. Vertieft werden die Themen der Abteilung durch sogenannte „Themeninseln“. Eine davon ist die Installation „Arbeitsplatz Kind“. Hier sind über 100 Exponate zur „Kulturgeschichte von Frauen- und Elternarbeit“4 versammelt. Sie stellen ein „Kabinett der Schattenarbeiten“ dar, das „Geschichten von 1001 Arbeitsnächten und -tagen im Leben mit Kindern“ erzählt.5 Berichtenswert erscheint mir in diesem Zusammenhang auch die zu den Themeninseln gehörende Sammlung „Wohin mit dem Kind?“, die eine „Geschichte der öffentlichen und privaten Kinderversorgung“6 schreibt. Grundlage dieser „Geschichte“ ist die Familiengeschichte einer der freiwilligen Mitarbeiterinnen des Museums aus dem „Arbeitskreis Frauen“. Dieser Exkurs ist übrigens auch ein Beispiel für die zahlreichen Gegenwartsbezüge in den Ausstellungen des Museums – In diesen Tagen wird z.B. der Vorschlag der Familienministerin von der Leyen diskutiert, die Zahl der Betreuungsplätze für unter Dreijährige zu verdreifachen. Bei ihrer eigenen Partei, der CDU, ruft dieser Vorschlag wenig Freude hervor, weil er am altbekannten Familienbild der CDU rüttelt. „Exponat Inseln“ greifen die Frage nach der Vereinbarkeit von Elternschaft und Beruf auf und bieten Antworten an den Beispielen der Familienmodelle Schwedens, der DDR und der BRD an. „Demokratische Teilhabe“Die Ideengeber und Gestalter der ersten Stunde wollten ein „anderes“ Museum, eines bei dem die Betroffenen selbst zu Wort kommen und gesellschaftliche Konflikte nicht ausgeklammert werden sollten. Diesen Grundsätzen fühlen sich die MitarbeiterInnen nach meinen Eindrücken noch heute verpflichtet. So wird z..B. immer wieder mit Zeitzeugen als Erkenntnisquelle aus der Arbeitswelt gearbeitet (Methode der „oral history“). Diese Subjektivität sei auch eine Verbindung zu den Besuchern und ein Link zu bereits versunkenen Arbeitswelten, aber auch zu Ideen für die Zukunft, sagte mir Dr. Elisabeth von Dücker im Gespräch.7 Ein Blick auf eine Auswahl von Sonderausstellungen des Museums zeigt, dass nicht selten gesellschaftliche Randgruppen zum Thema gemacht werden. 1990: Arbeit Mensch Gesundheit; 2000/2001: Späte Freiheiten: Geschichten vom Altern; 2003: Tanz um die Banane – Handelsware und Kultobjekt; 2003/2004: Geteilte Welten – Hamburg und Migration; 2004: Architektur der Obdachlosigkeit. BISS zu Gast im Museum der Arbeit; 2005/2006: Sexarbeit. Prostitution – Lebenswelten und Mythen Es ist typisch für das Museum der Arbeit, gesellschaftlich stigmatisierte und an den Rand gedrängte Gruppen nicht auszuklammern und politisch brisante Themen aufzugreifen, an die andere Museen nicht so gerne herangehen. In diesem Zusammenhang möchte ich auf die sehr lesens- und betrachtenswerten Ausstellungskataloge „Arbeit Mensch Gesundheit“ und „Sexarbeit (Prostitution – Lebenswelten und Mythen)“ hinweisen. Der zuerst genannte Katalog wurde 1990 von Christin Bargholz herausgegeben und in Zusammenarbeit zwischen dem Museum und der Kooperationsstelle DGB – Gewerkschaften/Hochschulen Hamburg erarbeitet. Er untersucht am Beispiel von fünf Berufen (Bauhilfsarbeiter und Maurer; Hafenarbeiter, Buchhalter, Kassiererin,Altenpflegerin) arbeitsbedingte Erkrankungen des Stütz- und Bewegungsapparates. Der Katalog „Sexarbeit“ wurde 2005 von Dr. Elisabeth von Dücker herausgegeben. Einige Themen: Zur Prostitutionsmigration nach Hamburg von 1807 – 2005, Stricherleben. Sexuelle Dienstleistung oder Überlebensstrategie? Drogenprostitution, Mit Sexarbeit aus der Arbeitslosigkeit? Mit diesem Katalog gewann das Museum der Arbeit den „1. Preis der Stiftung Buchkunst: Schönstes deusches Buch 2006.“ Lebendiges MuseumEin Museum sollte nicht bloß Aufbewahrungsort von Erinnerungen sein, sondern seinen Besuchern die Möglichkeit bieten, selbst auf Spurensuche zu gehen, neues zu entdecken, Einblicke durch Selbermachen zu gewinnen. Diese Möglichkeiten bietet das Museum der Arbeit in Hamburg in reichem Maße an. Das gilt sowohl für Erwachsene als auch für Kinder und Jugendliche. In den Druckwerkstätten und in der Steindruckerei können Besucher kleinere Drucksachen (z.B. Visitenkarten) herstellen. Unter fachmännischer Anleitung ehrenamtlicher und bezahlter Helfer können Kinder Kupferbleche zu Medaillen verarbeiten oder kleineSchmuckstücke, Anhänger, Broschen oder Anstecknadeln produzieren.
Wie ernst es den Veranstaltern mit dem Angebot des Selbermachens ist, geht auch daraus hervor, dass es die Stelle eines Rererenten gibt am Museum , der Lehrer und ausgebildeter Museumspädagoge ist. Er stellt die Verbindung zwischen Schulen und dem Museum her.8 Das Museum der Arbeit ist eines der am häufigsten besuchten Museen in Hamburg. Seine Beliebtheit hat es nicht zuletzt dem anschaulichen Aufbau seiner Ausstellungen zu verdanken. Die Zukunft des MuseumsDie Situation des Museums sieht wie die der anderen Hamburger Museen nicht rosig aus. Vor vier Jahren wurden die sieben ehemals staatlichen Museen in eine private Einzelstiftung überführt. Die Museen haben zwar einen Einzeletat, sollen aber auch selbständig arbeiten. Das bedeutet: Durch immer neue Ideen und Aktivitäten attraktiv zu bleiben und der Konkurrenz beim Kampf um die Sponsoren nicht zu unterliegen. Die Idee der Kultursenatorin Welk ist es nun , die kuturhistorischen Museen Hamburgs (das Museum der Arbeit, das Helmsmuseum, das Altonaer Museum und das Hamburg-Museum) zu einem Verbund zusammenzuschließen. Die Begründung: Durch den Verbund der Museen und die damit verbundenen Reformen werde eine „Politik der Entschuldung“ betrieben. „Profile“ der vier einzelnen Museen sollen entwickelt werden und schließlich solle ein „Synenergieeffekt“ eintreten. „Entschuldung“, „Synenergieeffekt“, „Verselbständigung“. Diese Sprache der Politiker und Verwalter kennt man. Sie geht meist mit einer Privatisierung einher. In Wirklichkeit geht es um Einsparungen, die wiederum zu höheren Belastungen der Mitarbeiter und zu Qualitätsverlust führen. Es kann sein, dass die geplante Umstrukturierung noch in diesem Jahr in Gang gesetzt wird. Jedenfalls soll eine entsprechende „Expertise“ noch vor der Sommerpause in den Senat kommen. Die Gründer des Museums der Arbeit wollten ein Museum ohne hierarische Strukturen, eines mit „demokratischer Teilhabe“. Mitbestimmung hieß das Signalwort in jener Zeit. Der Demokratisierungsprozeß im Museum selbst kann als ein Ursprung eines Mitbestimmungsmodells gelten, das auch in den Hamburger Museen politisch durchgesetzt wurde. Mit der „Verselbständigung“ der Hamburger Museen wurde es „entsorgt“. Das Hamburger Museum der Arbeit war einmal ein Museum „von unten“. Wieviel Eigeninitiative, Aktivität, politischer Wille und Akzeptanz dahintersteckten, zeigt sich u.a. darin, dass es die Arbeitskreise für die Bereiche Hafen, Frauen und Grafisches Gewerbe noch immer gibt und dass der Museums-Förderverein über 800 Mitglieder hat. Es bleibt zu hoffen, dass es den Politikern mit ihren Vorhaben nicht gelingt, den fruchtbaren demokratischen Ansatz und seine sehenswerten und lesenswerten Ergebnissen mit irgendwelchen „Entschuldungsprogrammen“ zu lähmen oder gar zu erdrücken, so dass am Ende ein Museum zum Vergessen dabei herauskommt. Rüdiger Stüwe Anmerkungen 1 Dr. Elisabeth von Dücker : . …das Leben hat sich unter und auf den Dingen angesiedelt., in: Museumsblatt (Mitteilungen aus dem Museumswesen Baden-Württembergs 2003), Heft 34, S. 15 2 Dr. Elisabeth von Dücker,a.a.O S. 15 3 Dr. Elisabeth von Dücker, a.a.O. S. 18 4 a.a.O. S. 18 5 a.a.O. S. 18 6 Dr. Elisabeth von Dücker, a.a.O. S. 19 7 Am 2.2.2007 habe ich sie im Museum der Arbeit interviewt. 8 Der Referent heißt Michael Idenhoff. Ihm danke ich hier für die Fotos, die er mir für diesen Artikel zur Verfügung gestellt hat. |
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