Gabi Anders

Gabi Anders hat zum Anlass des 100. internationalen Frauentags das folgende Gedicht verfasst:

Rosen, Waffen und Lieder

Variationen auf Gioconda Belli

Clara Zetkin hat uns Frauen in Paris
eine Stimme gegeben:
heute noch ist die ökonomische Unabhängigkeit
unser Zauberwort.
Die Aktentasche das Freiheitssymbol der jungen Frau,
die einem Mordanschlag im Namen der Ehre entkam
und heute Jura studiert.
Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
unsere Losung seit 100 Jahren.
Streiks und Hungermärsche,
in den Unterleib geschossene Spartaktistinnen
hier in Stadelheim
grausame, leidvolle Geschichte unserer Bewegung
wir vergessen nichts,
niemals.
Sie sagen wir haben die Freiheit,
ob wir ein Kind wollen oder nicht,
allein leben oder mit vielen,
wählen oder gewählt werden,
studieren oder bedienen -
tatsächlich aber bieten sie
ein Heer auf von Manipulatoren
Soap-Schreibern und Dompteuren,
fanatischen Abtreibungsgegnern, die mit Nazis paktieren
Antreibern und Ausbeutungsspezialisten,
um uns zum Schweigen zu bringen.
Schaut sie euch an, die Blutspur der katholischen Kirche-
samt Ratzinger.
Vor 30 Jahren haben wir für die 35 Stunden-Woche gekämpft,
heute verkaufen viele sich selbst,
nicht ihre Arbeitskraft.
Wer posed nicht?
In den U-Bahnhöfen werden wir bombardiert
mit feindlichen Nachrichten,
die Überwachungskameras laufen.
Im 19. Jahrhundert mussten wir uns als Männer verkleiden,
um auf politische Versammlungen zu gehen.
Heute sind wir beschäftigt mit der Inszenierung unserer Körper.
“I am what I am“ –der Slogan von Reebok in Shanghai
Und selbst wenn junge Vietnamesen
es heute schick finden, den Cocktail B 52 zu trinken –
was heißt das schon.
Es gibt Zeiten, in denen der Regen
nicht mehr der Regen
und die Fahne
nicht mehr die Fahne ist.
MP`s dem Schönheitsideal des Patriarchats.
Die Umkehrung aller Verhältnisse,
der Papiertiger vertilgt uns mit Haut und Haar,
Ozeane zwischen Berlin und Kairo,
Athen, München und Da Nang.
Alles wird vereinnahmt, ist besetzt,
dagewesen, abgefuckt.
Der Bild-Schreiber mag die
„Frau, die ein Baby, eine Hoffnung, eine Zukunft hat“
- ganz einfach und total ungefährlich, Schwester.
Er sagt, diese Frau führe ein
lebenswertes Leben.
Ja kennt Ihr das nicht!
Der deutsche Militarismus
zeigt sich in Afghanistan, in Mittenwald und auf
der Gorch Fock.
An was, Schwester, halten wir uns?

Lasst uns Hand in Hand
durch die Straßen ziehen,
ohne Angst vor Schwäche,
denn ein Herz so groß wie unseres
widersteht den grausamsten Foltern
auch Gleichgültigkeit, Resignation
nichts besänftigt seine vernichtende Liebe
und von Schlag zu Schlag
werden wir stärker und stärker,
wir betäuben den Feind
und er sieht unsere Kraft
in allen Blicken glänzen
und er fühlt uns kommen
wie eine ungeheure Flutwelle
jeden Morgen, immer wieder
an jedem Ort, wo ein Volk sich erhebt
in jedem Aufschrei von Müttern,
Vätern beim Tod ihrer Kinder
in jeder Hand, die sich im Leid
mit anderen hält.
Lasst uns also, Schwestern, Genossen,
unsere Toten erwecken mit dem Leben,
das sie uns vermacht haben,
lasst uns unaufhaltsam sein,
kämpfen und singen unsere Lieder,
stolz, frei und laut
Hoch lebe der Internationale Frauentag


Gabi Anders, März 2011